Schon seit ich ein Kind bin, habe ich gestickt, genäht und mit Textilien Dinge angestellt. Beide meine Omas waren Schneiderinnen, meine Mama hat genäht, gestrickt, gehäkelt, geflickt, gestickt, … So habe ich schon sehr früh mit verschiedenen Handarbeitstechniken Kontakt gehabt und ganz nebenbei die Grundfertigkeiten gelernt. Alle meine Werkzeuge und Materialien konnte ich immer daheim aus dem Fundus nehmen, und ein Großteil davon ist zu mir weitergewandert, nachdem meine Mama gestorben war.
Deswegen musste ich auch sehr lange in meinem Leben nie Nadeln kaufen. Wenn ich eine gebraucht habe, war da immer eine passende in der kleinen Nadeldose. Und ohne, dass es mir klar war, habe ich so schon eine sehr lange Zeit mit vintage Nadeln gearbeitet. Ich kann mich noch gut dran erinnern, wie meine Mama mir einmal ganz begeistert eine Packung alte Nähnadeln gezeigt hat, die sie irgendwo entdeckt hatte; Nähnadeln, die in den 80ern alt waren. Sie meinte, ich solle immer die Augen offen halten nach alten Nadeln, weil die meistens gut wären. Wie gesagt, das war in den 80ern.
Vor ein paar Jahren, als ich angefangen hatte, viel mit Textilien zu arbeiten, war schließlich der Nadelvorat erschöpft, und naiverweise dachte ich, ich könnte einfach losgehen und eine Packung neue Nadeln kaufen. Da war ich ziemlich falsch gewickelt.
Zuerstmal kam ich drauf, dass es garnicht mehr viele Kurzwarengschäfte gab. Und die, die es noch gab, hatten durch die Bank nur eine Marke Nadeln im Angebot, Qualität durchschnittlich. Es gab eigentlich keine Auswahl mehr. Also kaufte ich mir eine Packung und fing an damit zu arbeiten, und alles war irgendwie falsch. Die Nadeln waren wie Fremdkörper, steif, weit entfernt von scharf, die Öhre wirkten billig, ich war echt enttäuscht, aber hatte auch keine Alternative.
Erst, als ich anfing Sashiko zu sticken und dafür extra Sashiko Nadeln brauchte, die ich auch länger suchen musste, war klar, dass es sehr wohl noch gute Nadeln gibt. Und ich habe mich in Tulip Nadeln verliebt.
Was macht denn eine gute Nadel aus? Es gibt ein paar technische Aspekte, und auch ein paar sehr subjektive.
Flex
Ein ganz wichtiger Aspekt auf der technischen Seite ist der Flex, also die Biegsamkeit der Nadel. Unterschiedliche Anwendungen verlangen unterschiedlich viel Flex von einer Nadel, damit sie ihren Job gut machen kann. Eine Sticknadel kann und darf zum Beispiel relativ steif sein, Nähnadeln brauchen mehr Flex, und Sashiko Nadeln würden ohne relativ hohe Biegsamkeit nicht funktionieren, weil sie dafür gemacht sind, durch mehrere Lagen Stoff zu stechen und auch viele Stiche auf einmal aufzunehmen. Eine zu steife Nadel würde da sofort brechen. Mit der richtigen Biegsamkeit können Nadeln relativ schwere Stoffe bewältigen ohne zu brechen oder dauerhaft zu verbiegen. Nadeln von niedriger Qualität brechen viel schneller; hochwertige Nadeln haben die genau richtig abgestimmte Menge von Biegsamkeit und Steifigkeit für den Zweck, für den sie gedacht sind. Das bedeutet aber auch die Verwendung von passendem, hochwertigem Stahl, einen aufwändigeren Herstellungsprozess, der fachgerechtes Härten und Anlassen der Nadeln beinhaltet, und mehr Fachwissen bei der Herstellung.
Oberfläche/Polierung
Oberfläche und Polierung sind ein weiteres Qualitätsmerkmal. Billig hergestellte Nadeln werden auch nach dem Stanzen poliert, dabei ist der Poliervorgang aber nicht gerichtet. Qualitativ hochwertige Nadeln werden in Längsrichtung der Nadel poliert, also in der Richtung, in der die Nadel dann auch durch den Stoff gleitet. Das merkt man dann auch bei jedem Stich. Bei aufwändig produzierten Nadeln werden außerdem alle Grate vom Stanzen sorgfältig abgeschliffen und poliert, damit der Faden nirgendwo hängenbleiben kann und auch nicht die Nadel im Stoff. Bei minderwertigen Nadeln bleiben diese Grate meistens stehen, teilweise sogar mit dem freien Auge sichtbar. Da wird dann drüberbeschichtet, und das war's. Besonders oft sieht man das im Nadelöhr; dort werden dann auch die Garne beschädigt, wenn sie an den Graten hängenbleiben.
Spitze
Qualitativ hochwertige Nadeln haben eine Spitze, die so geformt ist, dass sie das, wofür sie gemacht sind, gut tun können. Der Winkel der Spitze ist unterschiedlich, je nach dem, was die Nadel gut können soll. Bei minderwertigen Nadeln wird nach dem Abschneiden der Nadel vom Draht die Stanzstelle rund oder spitz poliert, aber nicht extra noch eine Spitze geformt. Besonders Nadeln ohne Spitze, wie zum Beispiel Sticknadeln, sind dann im Grunde genommen vorne einfach grade, was das Arbeiten mit ihnen unnötig schwer macht. Bei guten Nadeln ist auch die stumpfe Spitze extra so geformt, dass die Nadeln den Weg zwischen den Webfäden des Stickgrundes leicht findet und leicht durch das Material gleitet. So stickt man wesentlich schneller und flüssiger. Bei Nähnadeln ist die Spitze optimalerweise so geformt, dass der Winkel es ermöglicht, ohne Anstrengung auch durch die Gewebefäden zu stechen.
Eine gut hergestellte Nadel ist ein Stück Ingenieurskunst, und du wirst den Unterschied mit Sicherheit bemerken, wenn du dich durch unterschiedliche Nadelqualitäten testest. Ich habe die Beobachtung gemacht, dass viele Menschen eigentlich nie andere Nadeln als durchschnittliche erlebt haben. Ich sehe dann auch, was die richtige, gute Nadel für einen Unterschied macht, besonders wenn es um entspanntes und flüssiges Arbeiten geht. Das sehe ich sowohl in Workshops als auch bei meiner eigenen Arbeit. Mit einer guten Nadel zu arbeiten heißt meistens, dass du entspannter bleibst, und das bedeutet meistens auch weniger Belastung für Gelenke und die Muskulatur. Es ist weniger fitzelig, weniger nervenaufreibend, und vor allem, gute Nadeln halten viel länger.
Es gibt natürlich Menschen, für die die Nadelqualität nicht so wichtig ist, auch das ist natürlich okay, und einfach eine Frage von Vorlieben. Wenn du allerdings denkst, dass Nadelqualität dir eigentlich egal ist, du aber noch nie eine echt gute getestet hast – probier doch mal eine aus und lass dich überraschen!
Und was ich ja mag bei Nadeln – selbst richtig gute Nadeln sind insgesamt trotzdem keine unendlich riesige Investition. Und sie halten wirklich lange, im Gegensatz zu weniger guten.
Anja - du trägst da wahnsinnig viel Wissen zusammen! Sehr informativ, dankeschön.
Durch meinem Papa habe ich die Wichtigkeit von gutem Werkzeug auch von klein auf mitgekriegt und teile deine Meinung, dass eine gute Investition hier wirklich maximale Freude beim werkeln macht.